12.08.2024
Wir sind früh wach. Die nahe Stadt, mit ihren Geräuschen hat uns geweckt. Entspannt packen wir alles ein, schlendern gemütlich den Berg hinab, sind pünktlich um 9:00 Uhr bei Martin. Er begrüßt uns herzlich, führt uns in seine Küche. Zum Frühstück gibt es heute einen hausgemachten Apfelstrudel, frischen Kaffee und Tee. Wir unterhalten uns angeregt über unsere Reise sowie unseren Blog. Martin ist sehr interessiert und kann sich vorstellen, dass wir bei den Šumava Litera Tagen einen Vortrag über unsere Erfahrungen halten. Er schreibt selbst regelmäßig für das Prager Literaturhaus einen Blog. Und!, er war der erste tschechische Stipendiat vom Prager Literaturhaus in Berlin. Einen ganzen Monat verbrachte er in der deutschen Metropole, um an der Fertigstellung seines Romans Panna Maria od Sedmi Zlodějů zu arbeiten. Der Roman spielt im deutsch-tschechischen Grenzgebiet und soll Ende 2024 erscheinen. Allerdings fand Martin in ganz Berlin kein Bier, das ihm schmeckte. Mehr Info darüber findet man hier: www.prager-literaturhaus.com

Kurz nach 10:00 Uhr verabschieden wir uns. Unser heutiges Ziel ist ein kleiner Kemp bei Kaplice in der Nähe von Lenora. Voller Elan entscheiden wir uns die Route über den Boubín zu nehmen. Mit 1362 m ist er der zweithöchste Berg im Šumava. Die Strecke verlangt wirklich alles von uns ab. Es geht nicht nur hoch und steil hinauf, heute haben wir auch einen heißen Augusttag. Wir schaffen es, besteigen den Turm, erfreuen uns an der Aussicht. Steil geht es wieder abwärts. Der Abstieg strengt uns noch mehr an. Für unsere Verhältnisse erreichen wir unser heutiges Kemp spät. Es ist bereits nach 18:00 Uhr. Der Platz ist sehr einfach. Es gibt keine sanitären Anlagen, lediglich Plumpsklos. Dafür kostet es für Wanderer nichts! Nur Fahrzeuge werden berechnet. Wir kommen mit unseren tschechischen Nachbarn ins Gespräch. Eine herzliche Frau spricht gut Deutsch. Wir verstehen uns gut und sie schenkt uns einen kleinen Rosenkranz. So besitzen wir wieder einen Talisman, der uns beschützt. Wieder einmal sind wir fasziniert und gerührt.

Mein tschechisches Wort für heute: vchod – der Eingang

13.08.2024
Heute geht es nach Lenora. Es ist nah. Nach den gestrigen Tag ein Traum. Wir planen in Lenora ein paar Tage zu bleiben. Ich freue mich auf eine Dusche. Martin hat uns die Telefonnummer von Egon Urmann mitgegeben. Er ist ein böhmerwäldler Unikat, hat viel erlebt, trifft gerne Leute, erzählt gut. Ich rufe ihn an, habe Glück, erreiche ihn. So kurzfristig habe er leider heute nicht viel Zeit für uns, seine ganze Woche ist bereits verplant, lediglich von 10:00 bis 12:00 Uhr kann er uns eine „Audienz“ gewähren. Ab 12:00 Uhr hat er eine Goldwäschergruppe zu betreuen. Nach gemütlichen zwei Stunden erreichen wir Lenora, treffen Herrn Urmann an einem Parkplatz beim „Schlößle“. Für seine fast 80 Lenze ist er ein absolut agiler und umtriebiger Mann. Der Schalk spitzt aus seinen Augen. Lenora war nach dem Krieg eine Besonderheit in der Geschichte der Sudetendeutschen. Viele von ihnen mussten bleiben, da sie als Fachleute in der Glasmanufaktur gebraucht wurden. Dieses Schicksal betraf auch die Eltern von Herrn Urmann. Über unser intensives und lehrreiches Gespräch schreibe ich an dieser Stelle nicht. Im Morsak Verlag ist ein Buch von ihm erschienen. Es trägt den Titel: „Do bin i dahoam“. INFO hier: www.moverlag.eu
(Auch ein Buch von Martin Sichinger ist im Morsak Verlag erschienen. Es heißt: „Meyrs Glas – Der versteckte Schatz“ Die Handlung spielt in Lenora.)

Und!, Herr Urmann hat 2010 den Brückenbauerpreis verliehen bekommen. Auf der Seite des CeBB findet man einen Bericht darüber.

Nach dieser beeindruckend Begegnung machen wir uns auf zum Kemp, der Hauptstraße entlang. Es ist gefährlich, da es keinen Bürgersteig gibt. Der Platz ist wieder eine Enttäuschung. Zwar ist er schön, liegt direkt an der Moldau, aber auch schlicht. Wieder gibt es keine sanitären Anlagen, lediglich ein Dixi-Klo und eine Wasserpumpe. Wir erfahren, dass es kein Auto – Kemp ist, sondern ein Übernachtungsplatz für Bootswanderer. Statt einer Dusche nehmen wir ein Bad in der frischen Moldau. Doch was tun? Ursprünglich wollten wir hier 2 – 3 Tage verweilen. Hinzu kommt, dass es nur noch ein ebenso simples Kemp, in Soumarský Most gibt, ca. 3 km entfernt. Danach gibt es keine Zeltübernachtungsmöglichkeit bis Nová Pec mehr. Dieser Ort liegt allerdings über 22 km von Soumarský Most entfernt, plus der Weg ist die Hauptfahrradroute entlang der Moldau und selbstverständlich geteert. Da sich das gesamte Gebiet im Nationalpark befindet ist wildes Campen verboten. Wir rufen bei einer Pension in Cerny Kriz an. Sie liegt auf halber Strecke. Kein Zimmer frei und im Garten dürfen wir auch nicht zelten. Wir sind frustriert. Über 22 km Teer mit unserm Gepäck auf dem Buckel, dass wäre eine Qual für unsere Füße. So „geben wir auf“ und entscheiden uns am nächsten Tag den Zug zu nehmen. Wir gönnen uns am Abend in einem Restaurace ein leckeres böhmisches Essen, dann geht es zu unserem Platz, ab ins Zelt. In der Nacht entlädt sich ein Gewitter.

Mein tschechisches Wort für heute: cestovat – reisen

14.08.2024
Wetter und Stimmung sind wieder gut. Wir bauen ab, gehen in die Stadt. Heute allerdings nicht entlang der Straße. Der Kempbesitzer meint, man könne auch über das Wehr, dann weiter einen Pfad entlang. Über das Wehr? Wie? Er geht vor. Beim Wasser angekommen legt er ein einfaches Brett über den Bootskanal. Zuerst gehe ich, dann Ritschi, es klappt. Wir bedanken uns, er zieht das Brett wieder zurück. Jetzt ein paar Schritte auf nassen und rutschigen Steinen, da stehen wir vor einem zweiten Kanal. Zwar ist dieser kleiner und ohne Gepäck kein Problem. Aber so? Ein Zurück gibt es nicht mehr, der Kempbesitzer ist fort. Ich wieder als Erster. Mit Hilfe der Stöcke schaffe ich es. Nun ist Ritschi dran. Sie ist unsicher, wagt es, schafft es, verliert einen Stock im Wasser, den sie wieder herausholen kann, da er sich im Schilf verfängt. Das kleine Abenteuer hat sich wirklich gelohnt. Gemütlich ziehen wir auf dem Pfad in die Stadt hinein. Im Laden kaufen wir uns ein Frühstück, dass wir am Bahnhof verputzen. Pünktlich um 11:00 kommt der Zug. Erst geht es nach Volary, umsteigen, weiter nach Cerny Kriz, umsteigen, Zielbahnhof Horní Planá / Oberplan. (Öffentliche Verkehrsmittel hier ein Traum.)

Horní Planá! Wir sind da! Nach 40 Tagen, 585 km in unserem Tempo zu Fuß, puls einmal Busfahrt und die heutige Bahnfahrt. Gleich in der Nähe ist ein Caravan Kemp. Wir checken ein. Suchen uns einen Zeltplatz, bauen auf, genießen eine Dusche. Frisch geht es in das Zentrum von Horní Planá. Unser erstes Ziel das Geburtshaus von Adalbert Stifter, heute ein Museum. Wir vertiefen uns in das Leben und Schaffen des großen Künstlers. Im oberen Stockwerk besuchen wir eine Ausstellung über das Leben der Sudetendeutschen. Eine Filmdokumentation über das verschwunden Dorf Glöckelberg / Zvonková erregt unser Interesse, passt es doch gut zu unserer Reise. Da wir uns entschieden haben für mehrere Tage in Horný Planá zu bleiben, nehmen wir uns vor diesen Ort, mit seiner wieder errichteten Kirche, zu besuchen. Weiter zieht es uns zur kleinen Altstadt mit seiner Pfarrkirche Sankt Margaretha, zur Gutwasserkapelle und natürlich zum Adalbert Stifter Denkmal. Beim Aussichtturm verschaffen wir uns noch einen Überblick über Stadt, Land und dem Stausee. Zurück am Platz kommen wir mit unseren Zeltnachbarn ins Gespräch. Das eine Ehepaar kommt aus Chemnitz. Der Herr musste seinen Militärdienst in der DDR als Grenzsoldat leisten. Eine schwere Zeit für ihn, immer mit der Angst im Nacken auf keinen Menschen schießen zu müssen, dauernd unter Beobachtung der Stasi. Der andere Herr stammt aus Passau. War in seiner Jugend ein Kommunist. Daher beteiligte er sich beim Jugendaustausch mit der DDR. Spannende Geschichten. Das Thema Grenze lässt uns auch hier nicht los.

Unseren verlorenen Weg, den wir nicht zu Fuß von Lenora nach Horní Planá gegangen sind, holen wir in den kommenden Tagen entspannt zu Fuß und mit dem Fahrrad nach. Darüber werde ich an dieser Stelle nicht mehr berichten. Wir haben unser Ziel erreicht und wir beenden somit unsern Blog.

Wir bedanken uns ganz herzlichst beim CeBB, in erster Linie bei David Vereš für die Unterstützung und Möglichkeit unsere Reise mit ihnen zu teilen. Wir hoffen unser Blog hat sie angenehm unterhalten und Ihnen vor allem ganz viel Lust gemacht das grüne Band zwischen Bayern und Böhmen selbst einmal zu erkunden. Es lohnt sich!

Tausend und einen Gruß,
Ritschi und Oliver Machander

Mein tschechisches Wort zum Abschluss: mír – der Frieden